Von Cornelia Gerlach
Darf ich vorstellen: Shorty, vier Monate alt, blond und kurzbeinig wie ein Dackel. Noch ist die Welt ist neu und will entdeckt sein. Ich sag, wo es langgeht. Immer der Nase nach, sagt Shorty. Okay, sag ich, und wir laufen Richtung Kotti.
Das erste, was Shorty entdeckt, ist ein Knäuel Därme an der Ecke Erkelenzdamm. Shorty schnuppert. Legt die Stirn kraus, zieht an der Leine, bis auch ich endlich sehe, was sie riecht: wohl das Innere eines Lammes. Reste einer Hinterhof-Schlachtung, die manche muslimische Familie hier praktiziert. Blassgrüne Masse schimmert durch die weißlichen Schläuche, gebettet auf eine alte B.Z., Schlagzeile: „Der Super-Jackpot - Wahnsinn!“ „Neiiin! Shorty! Nein! Komm, ich geh nachher mit Dir in den Park.“
Aber jetzt machen wir erstmal, was ich will. Shorty kommt, wir laufen die Skalitzer Straße runter, an den Beton-Wohnblöcken vorbei, die aussehen wie Bunker, Kinder drehen sich weg, die Augen geweitet, sie haben Angst. Sie sehen nicht den Welpen, sondern das Raubtier. Shorty läuft derweil mit dem Kopf in den Wolken: Da oben kreisen die Tauben, die unter dem Glasdach der Hochbahn hausen. Tauben jagen. Gerne. Ich bin froh, dass die Kleine abgelenkt ist und das Dönerbrot nicht sieht und nicht die aufgeplatzte Wurst am Boden und sich ohne Umstände im Bogen um die zersplitterte Becks-Flasche lotsen lässt.
Nächste Station: Die U-Bahn. Gute Gelegenheit, denke ich, ich habe Zeit, Shorty muss das lernen, wir machen einen Umweg durch den Tunnel. Da streikt sie. Schiebt die Vorderbeine vor, drückt alles Gewicht nach hinten, sie sträubt sich, als wenn das der Eingang zur Hölle wäre. Ein Strom lauwarmer, rußiger Luft steigt aus dem Schacht auf. Menschen kommen, Menschen gehen. Zwei Männer lehnen am Treppengeländer, der eine rotgesichtig und ziemlich breit, der andere schmal wie ein Hemd. Sie scheinen gerade ein Geschäft abzuwickeln, es passt ihnen nicht, dass wir stoppen. Der Dicke schiebt die Lippen vor, „Los, Kleine, brauchst keine Angst haben, nun geh schon.“ Shorty schaut ihn mit großen Augen an. Wedelt, immerhin. Taut etwas auf. Der Typ, der so dünn wie ein Hemd ist, geht in die Knie. „Is noch´s Welpe, oder?“ Er streckt die Hand vor. Shorty bleibt skeptisch. Da spitzt der Mann die Lippen und fiepst. Der Hund legt den Kopf auf die Seite, schaut ihn an, ja, doch, der winselt, als wenn er ein armes, eingesperrtes Tier wäre, und der Hund glaubt ihm, dem Tierstimmenimintator, und zaubert ihm ein weiches, warmes Lächeln ins graue Gesicht. Und lässt sich nun ganz entspannt die Treppe runter in den U-Bahn-Schacht tragen.
Dorthin, wo die schrägen Gestalten rumhängen. Menschen die kommen, die gehen, die sich Sätze zuraunen - „Hast du Mickel gesehen“ oder: „Hast Du ein paar Dyas?“ und Dinge zustecken oder einfach nur warten. Dorthin, wo ich sonst selten länger als notwendig bleibe. Diesmal schon.
Ich kaufe mir einen Kaffee, 60 Cent, mit Milch soviel ich möchte. Shorty untersucht derweil den Boden vorm Backstand. Kuchenkrümel, Brötchenreste, sogar ein Stück Salami kann sie finden. Ihr gefällt das.
„Müssen se aufpassen“, sagt einer der Männer, die aussehen, als würden sie in dieser Unterwelt leben: Lederjacke, Ohrenpiercing, Ringel-T-Shirt in die Hose gestopft, die einen völlig unmodern hoch geschnittenen Bund hat. „Wenn Sie nicht aufpassen, frisst Ihr Hund Aas.“ Die Kleine leckt sich das Maul, schnüffelt am Boden, findet einen Klecks Schokolade, ist sehr zufrieden. „Oder Gift“, sagt der Mann, „die Leute kommen auf die fiesesten Gedanken.“ Leute kommen, sprechen ihn an, er schickt sie weg mit den Worten: „Siehst Du nicht, ich bin im Gespräch.“ Wie ein Vorgesetzter auf einer Behörde. Was ist er? Dealer? Bulle in Zivil? Auf alle Fälle jemand, den man kennt hier.
Mir aber weicht er nicht von der Seite. „Ich kenn mich aus mit Tieren“, sagt er und mustert mich, nicht den Hund, „ich war mal in der Hundeschule, als Lehrer.“ Shorty leckt, als wolle sie putzen. „Pfui“, sagt der Mann. Der Hund blickt auf. „Feiner Hund, prima!“ Der Mann lobt und knuddelt das Tier, dass es ganz vergnügt wird. „Und so machen Sie das immer: Ein deutliches Nein. Und dann, wenn sie tatsächlich aufhört, kräftig loben.“ Ein junger Kerl kommt dazu, blickt fragend, er schickt ihn weg. Der verkrümelt sich hinter eine Säule. „Wenn sie wollen“, sagt der Mann, „kann ich ihnen gerne ein paar Sachen zeigen.“ Er schreibt mir seine Telefonnummer auf. Auf dem Video der Überwachungskamera sieht es vermutlich aus, als wolle ich Drogen von ihm kaufen.
Wo wir gerade hier sind, zeige ich Shorty auch noch den Bahnsteig. Fahl fällt das Licht von den Kacheln. Shorty schnüffelt an den schwarzen Flecken am Boden - plattgetretene Kaugummis, „pfuii, nein!“ - und beobachtet aufmerksam, wie ein Zug einfährt. So viele Menschen. Sie rückt näher an meine Beine. Die U-Bahn fährt ein. Die Menschen steigen ein. Shorty blickt ihnen lange hinterher. Einen Moment später ist der Bahnsteig fast leer. Außer uns ist da nur noch ein Vater mit seinem Sohn, der Vater in der Hocke, der Kleine zwischen den Knien. Die winzigen Hände berühren den gelben Waggon, streicheln die Tür, sind ganz gefesselt von diesem Wunderwerk der Technik, das nun auch noch anfängt zu blinken, die Türen schließen, der Wagen rollt an, der Vater zieht das Kind weiter weg von den Gleisen. Neugierig guckt Shorty zu den beiden rüber. Okay, scheint sie zu sagen. Ich bin nicht die einzige, für die das hier neu ist.
Auf dem Weg zurück kommt uns der Hundelehrer entgegen. „Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen“, ruft er. Auch der Tierstimmenimitator ist noch immer am Platz. Er winselt leise. Shorty wedelt. Über dem Kottbusser Damm tanzen die Tauben.
Donnerstag, 13. März 2008
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