Mittwoch, 4. November 2009

Nissen & Schmidt

Noch bevor die Hundebesitzer zu ihrer ersten Runde aufbrechen, sind Nissen und Schmidt schon zur Stelle. Dunkelblaue Uniform, schwere Stiefel, Warnwesten, auf denen in großen Buchstaben „Ordnungsamt“ steht. Sie leuchten grün im grau vor sich hindämmernden Park. Ein paar Tauben fliegen auf, als Schmidt und Nissen durch das Tor in der Ziegelmauer treten. Menschen sind erstmal keine in Sicht.

„Dann können wir ja noch eine rauchen“, sagt Nissen und kramt sein Equipment vor: Kippen, Feuer, eine kleine Dose mit Deckel, in die er dann lässig ascht. Die Blicke der Männer wandern. Sie sind heute früh auf Hundepatroullie. Punkt 7 Uhr haben sie das Wirtschaft- und Ordnungamt am Rathaus in Berlin-Kreuzberg verlassen. Der Einsatzplan heute: Östlicher Teil von Kreuzberg mit dem Görlitzer Park.

Ihr Beruf? „Ordnungsamtsaußendienstmit-arbeiter“, das Wort zergeht Schmidt auf der Zunge. 2004 haben in Berlin die Ordnungsämter Aufgaben von der Polizei übernommen, Knöllchen verteilen für Falschparken zum Beispiel, für Radfahren auf dem Gehweg, Schutt abladen und eben auch für Verstöße gegen die Hundevordnung. Schmidt und Nissen haben sich damals für diesen Job beworben. Nach mehr als 20 Jahren Polizeidienst, zuletzt im Abschiebegewahrsam. „Icke“, sagt Schmidt und klopft sich auf seine Wampe unter der neongrünen Weste, „hab da ne Planstelle gehabt, da hätte ich bleiben können bis 100. Aber ich mag diesen Job, der ist wichtig.“

Plötzlich ist Nissens Blick scharf. Da hinten, ein Hund! „Kriegen wir den?“ Die beiden sehen sich an. „Einer links rum. Einer rechts rum.“

Eine Frau trottet neben ihrem Hund her. Sie hat die Leine nicht mal dabei, so sicher ist sie, dass ihr Tier keinen Mist macht. Es soll nur eben schnell mal aufs Klo. Da plötzlich kommen Schmidt und Nissen angesprintet. Einer von links, einer von rechts. Ob ihr klar sei, dass sie soeben eine Ordnungswidrigkeit begehe? Die Frau reibt sich die Augen. Ja, sagt sie dann, geschützte Grünlage, da muss der Hund an die Leine. „Ihre Personalien?“ „Ich wollte doch nur mal eben...“ Nissen notiert Namen und Anschrift, überprüft sie. Die Rechnung kommt später.

25 Euro, erklärt Schmidt. Ein Verwarnungsgeld. Weil die Frau einsichtig war und fahrlässig, nicht aus Absicht heraus handelt. Im anderen Fall drohe ein Bußgeld, das sehr viel höher ausfallen könnte.
Man sieht sich immer mehrfach, wird Schmidt später sagen. Denn wer um diese Zeit hier den Hund ausführt, der wohnt hier auch. Und kommt also wieder. „So wie wir. Beim dritten, vierten Mal müssen wir fehlende Einsicht annehmen. Dann wird es teuer.“

„Da“, ruft Nissen. Der nächste. Ein bleicher Kerl mit Farbkleksen auf der ausgewaschenen Jeans und einer Schiebermütze, die schräg vor der Stirn hängt. Er beugt sich über einen Abfallbehällter, steckt seine Hand hinein, zieht eine Pfandflasche heraus und lässt sie in einen Leinenbeutel rutschen. Neben ihm wartet ein Boxermix. Genauso bleich. Die Augen drohend schwarz umrandet. Eiter suppt aus ihren Winkeln. „Halt“, sagt Schmidt und zückt das Foto-Handy. Seine Diagnose: Kampfhundmix, nicht ungefährlich.

„Da haben die im Tierheim nichts von gesagt“, knurrt der Mann. Und überhaupt habe er das Tier nur in Pflege, für einen Kumpel, der in der Justizvollzugsanstalt Moabit einsitzt. Der Hund sei ins Tierheim gekommen, als der Besitzer in den Bau ging. Der Mann versucht ein Lächeln, das sofort wieder einfällt. Ach, lasst mich, sagt sein Gesicht dann, ich brauch jetzt meinen Stoff und nicht eure dämliche Kontrolle. Nissen überprüft die Personalien. „So wie der Typ drauf war, ist er nicht fähig, einen Kampfhund zu führen“, wird er später sagen. Aber er gibt die Angaben jetzt nur weiter. Prüfen tun andere. Es drohen Bußgelder bis zu 10.000 Euro.

Schmidt und Nissen schlendern weiter. Wegen Situationen wie diesen, sagt Schmidt, liebe er seinen Job. „Wissen Sie, wie gefährlich diese Tiere sind?“ In der Ausbildung habe man ihnen einen Dokumentarfilm gezeigt, wo so ein Hund überhaupt nicht mehr losließ. „Da ist eine unheimlich Wucht dahinter“, sagt Schmidt. „Mehrere hundert Kilo pro Quadratzentimeter Zahn.“

Nissen schiebt seinen Ärmel hoch. Eine Narbe. Hundebiss. Ein belgischer Schäferhund. „Bin auf den Halter zu, ganz normal“, sagt er trocken, „da tickt der aus.“ Schmidt stand daneben, wie immer, einen halben Schritt dahinter. Der hat ihn dann in die Notaufnahme gebracht. Ob er jetzt Angst hat? „Angst ist ein schlechter Berater.“ Aber vorsichtiger sei er geworden. Und gründlicher.

„Mit Erfolg“, Schmidt klopft sich auf die Brust. Ein paar Zahlen: 2001 wurden im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg noch 124 Fälle registriert, bei denen Menschen verletzt oder belästigt wurden, 2007 waren es nur noch 61.

Sie rauchen noch eine, bevor sie sich dem angrenzenden Kiez widmen. Falschparker, illegal geklebte Plakate, abgeladener Müll, ein schneller Anruf, dass die Stadtreinigung sich drum kümmert. Auch das gehört zu ihrem Job. Wer hier seinen Hund - Ausnahme: als gefährlich gelistete - frei laufen lässt, hat nichts zu befürchten. Auf dem Gehweg ist, anders als in geschützten Grünanlagen, kein Leinenzwang. „Nicht mal vor Schulen und Kindergärten.“ Schmidt schüttelt den Kopf.

Nächste Grünanlage. Mariannenplatz. Schmidt nimmt eine Frau in den Blick, die gerade auf den Weg in den Park ist. Ihr Hund will spielen. Erst lässt sie ihn, dann sieht sie die Männer und nimmt ihn ran. „Ermahnen?“, fragt Schmidt und legt einen Zahn zu, „Schmidt, Ordnungsamt“, ruft er die Frau an. Die lächelt kurz. Doch sie läuft weiter, stur geradeaus wie eine Lok auf den Gleisen. „Bleiben sie stehen!“ ruft Schmidt einmal, zweimal, dreimal, jetzt laut. „Kann ja sein, dass die Ohren taub sind.“ Die Frau eilt weiter. Schmidt baut sich mit seinen 130 Kilo vor ihr auf. Sie drängt vorbei. Er hält sie fest. „Das dürfen sie so nicht“, sagt sie patzig. „Das darf ich sehr wohl“, gibt er zurück. „Wollen Sie, dass ich die Polizei hole?“, fragt Schmidt. Nissen zückt das Handy.

Später addieren Schmidt und Nissen, was auf dem Bußgeldbescheid stehen könnte: Hund frei laufen lassen, den Anruf missachten, die Personalien verweigern. Sie kommen auf satt über 200 Euro. Rekordhalterin ist eine, die schaffte es auf 800.

Beliebt sind sie nicht, das ist Schmidt und Nissen auch klar. Einmal hatte Schmidt plötzlich ein Geräusch im Nacken. So ein schmatzendes Platsch. „Guck mal nach“, hat er zu Nissen gesagt und ihm den Rücken zugedreht. Tatsächlich, da hing ein dicker Klecks Rotze. Irgendwer hatte ihn angespuckt. Am Abend war Schmidts Frau dann ganz zärtlich. „Gib her“, sagte sie und meinte die eingerotzte Jacke, „die musst du nicht auch noch waschen.“ Schmidt sagt, dass er auch sowas durchaus wegsteckt. „Die meinen ja nicht mich. Die wollen die Uniform treffen. Ich bin nur der Außendienstbeppo.“

Donnerstag, 3. April 2008

Ein kleiner Gruss zum Donnerstag aus der Wrangelstrasse 36.

Donnerstag, 13. März 2008

Fingerübung zum Auftakt: Shortys Kreuzberg

Von Cornelia Gerlach

Darf ich vorstellen: Shorty, vier Monate alt, blond und kurzbeinig wie ein Dackel. Noch ist die Welt ist neu und will entdeckt sein. Ich sag, wo es langgeht. Immer der Nase nach, sagt Shorty. Okay, sag ich, und wir laufen Richtung Kotti.

Das erste, was Shorty entdeckt, ist ein Knäuel Därme an der Ecke Erkelenzdamm. Shorty schnuppert. Legt die Stirn kraus, zieht an der Leine, bis auch ich endlich sehe, was sie riecht: wohl das Innere eines Lammes. Reste einer Hinterhof-Schlachtung, die manche muslimische Familie hier praktiziert. Blassgrüne Masse schimmert durch die weißlichen Schläuche, gebettet auf eine alte B.Z., Schlagzeile: „Der Super-Jackpot - Wahnsinn!“ „Neiiin! Shorty! Nein! Komm, ich geh nachher mit Dir in den Park.“

Aber jetzt machen wir erstmal, was ich will. Shorty kommt, wir laufen die Skalitzer Straße runter, an den Beton-Wohnblöcken vorbei, die aussehen wie Bunker, Kinder drehen sich weg, die Augen geweitet, sie haben Angst. Sie sehen nicht den Welpen, sondern das Raubtier. Shorty läuft derweil mit dem Kopf in den Wolken: Da oben kreisen die Tauben, die unter dem Glasdach der Hochbahn hausen. Tauben jagen. Gerne. Ich bin froh, dass die Kleine abgelenkt ist und das Dönerbrot nicht sieht und nicht die aufgeplatzte Wurst am Boden und sich ohne Umstände im Bogen um die zersplitterte Becks-Flasche lotsen lässt.

Nächste Station: Die U-Bahn. Gute Gelegenheit, denke ich, ich habe Zeit, Shorty muss das lernen, wir machen einen Umweg durch den Tunnel. Da streikt sie. Schiebt die Vorderbeine vor, drückt alles Gewicht nach hinten, sie sträubt sich, als wenn das der Eingang zur Hölle wäre. Ein Strom lauwarmer, rußiger Luft steigt aus dem Schacht auf. Menschen kommen, Menschen gehen. Zwei Männer lehnen am Treppengeländer, der eine rotgesichtig und ziemlich breit, der andere schmal wie ein Hemd. Sie scheinen gerade ein Geschäft abzuwickeln, es passt ihnen nicht, dass wir stoppen. Der Dicke schiebt die Lippen vor, „Los, Kleine, brauchst keine Angst haben, nun geh schon.“ Shorty schaut ihn mit großen Augen an. Wedelt, immerhin. Taut etwas auf. Der Typ, der so dünn wie ein Hemd ist, geht in die Knie. „Is noch´s Welpe, oder?“ Er streckt die Hand vor. Shorty bleibt skeptisch. Da spitzt der Mann die Lippen und fiepst. Der Hund legt den Kopf auf die Seite, schaut ihn an, ja, doch, der winselt, als wenn er ein armes, eingesperrtes Tier wäre, und der Hund glaubt ihm, dem Tierstimmenimintator, und zaubert ihm ein weiches, warmes Lächeln ins graue Gesicht. Und lässt sich nun ganz entspannt die Treppe runter in den U-Bahn-Schacht tragen.

Dorthin, wo die schrägen Gestalten rumhängen. Menschen die kommen, die gehen, die sich Sätze zuraunen - „Hast du Mickel gesehen“ oder: „Hast Du ein paar Dyas?“ und Dinge zustecken oder einfach nur warten. Dorthin, wo ich sonst selten länger als notwendig bleibe. Diesmal schon.

Ich kaufe mir einen Kaffee, 60 Cent, mit Milch soviel ich möchte. Shorty untersucht derweil den Boden vorm Backstand. Kuchenkrümel, Brötchenreste, sogar ein Stück Salami kann sie finden. Ihr gefällt das.

„Müssen se aufpassen“, sagt einer der Männer, die aussehen, als würden sie in dieser Unterwelt leben: Lederjacke, Ohrenpiercing, Ringel-T-Shirt in die Hose gestopft, die einen völlig unmodern hoch geschnittenen Bund hat. „Wenn Sie nicht aufpassen, frisst Ihr Hund Aas.“ Die Kleine leckt sich das Maul, schnüffelt am Boden, findet einen Klecks Schokolade, ist sehr zufrieden. „Oder Gift“, sagt der Mann, „die Leute kommen auf die fiesesten Gedanken.“ Leute kommen, sprechen ihn an, er schickt sie weg mit den Worten: „Siehst Du nicht, ich bin im Gespräch.“ Wie ein Vorgesetzter auf einer Behörde. Was ist er? Dealer? Bulle in Zivil? Auf alle Fälle jemand, den man kennt hier.

Mir aber weicht er nicht von der Seite. „Ich kenn mich aus mit Tieren“, sagt er und mustert mich, nicht den Hund, „ich war mal in der Hundeschule, als Lehrer.“ Shorty leckt, als wolle sie putzen. „Pfui“, sagt der Mann. Der Hund blickt auf. „Feiner Hund, prima!“ Der Mann lobt und knuddelt das Tier, dass es ganz vergnügt wird. „Und so machen Sie das immer: Ein deutliches Nein. Und dann, wenn sie tatsächlich aufhört, kräftig loben.“ Ein junger Kerl kommt dazu, blickt fragend, er schickt ihn weg. Der verkrümelt sich hinter eine Säule. „Wenn sie wollen“, sagt der Mann, „kann ich ihnen gerne ein paar Sachen zeigen.“ Er schreibt mir seine Telefonnummer auf. Auf dem Video der Überwachungskamera sieht es vermutlich aus, als wolle ich Drogen von ihm kaufen.

Wo wir gerade hier sind, zeige ich Shorty auch noch den Bahnsteig. Fahl fällt das Licht von den Kacheln. Shorty schnüffelt an den schwarzen Flecken am Boden - plattgetretene Kaugummis, „pfuii, nein!“ - und beobachtet aufmerksam, wie ein Zug einfährt. So viele Menschen. Sie rückt näher an meine Beine. Die U-Bahn fährt ein. Die Menschen steigen ein. Shorty blickt ihnen lange hinterher. Einen Moment später ist der Bahnsteig fast leer. Außer uns ist da nur noch ein Vater mit seinem Sohn, der Vater in der Hocke, der Kleine zwischen den Knien. Die winzigen Hände berühren den gelben Waggon, streicheln die Tür, sind ganz gefesselt von diesem Wunderwerk der Technik, das nun auch noch anfängt zu blinken, die Türen schließen, der Wagen rollt an, der Vater zieht das Kind weiter weg von den Gleisen. Neugierig guckt Shorty zu den beiden rüber. Okay, scheint sie zu sagen. Ich bin nicht die einzige, für die das hier neu ist.

Auf dem Weg zurück kommt uns der Hundelehrer entgegen. „Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen“, ruft er. Auch der Tierstimmenimitator ist noch immer am Platz. Er winselt leise. Shorty wedelt. Über dem Kottbusser Damm tanzen die Tauben.